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Die Rekrutierung als Schlüsselmoment zur Förderung der Vereinbarkeit

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fordert Väter und Mütter aber auch Unternehmen stark. Es sind flexible Arbeitsmodelle wie Job- oder Topsharing gefragt, welche dem Bedürfnis nach Teilzeitstellen für qualifizierte Fach- und Führungspersonen gerecht werden. Die Rekrutierung spielt dabei eine zentrale Rolle.

  • Karriereplanung
  • 4. Mai 2022

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Die Vereinbarkeit von Beruf, beruflicher Entwicklung und Familie ist eine Herausforderung, welche Arbeitnehmende mit Kindern – egal ob Mann oder Frau – betrifft. Mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frauen Link öffnet in neuem Fenster. sind nicht nur die Frauen sondern auch die Männer punkto Vereinbarkeit immer stärker gefordert. Die Lösungsansätze sind vielfältig – ebenso vielfältig wie die individuellen Ansprüche und Voraussetzungen innerhalb der Familien, die Vorstellungen der Arbeitnehmenden sowie auch die Rahmenbedingungen, welche die Unternehmen schaffen.

Wird eine Geschäftsführung oder eine Führungsposition neu besetzt, startet dieser Prozess in der Regel mit der Profilaufnahme, in welcher erfasst wird, was eine neue Leiterin oder ein neuer Leiter an Kompetenzen, Qualifikationen und Persönlichkeitseigenschaften mitbringen soll. Verlangt sind gute Fachkenntnisse, operative Erfahrung, strategischer Weitblick, mehrere Jahre Führungserfahrung, eine fundierte Aus- und eine höhere Weiterbildung und in der Regel auch ein gutes Branchennetzwerk. Nicht selten kommt dabei ein Profil heraus, das so breit abgesteckt ist, dass eine Person alleine den Anforderungen nur schwer gerecht werden kann oder für welches eigentlich mehr als 100 Stellenprozente nötig wären. Hier sind Unternehmen gefordert, die Profile so zu gestalten, dass auch Personen angesprochen werden, die auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie viel Wert legen.

Teilzeit-Führungspositionen werden häufiger

Die Frage nach dem Pensum wird heute bei jeder Profildefinition diskutiert, und wir sehen, dass Unternehmen teils noch zögerlich, jedoch mit zunehmender Offenheit bereit sind, Führungspositionen in weniger als 100 % auszuschreiben. Ein Minimum von 60 % oder 70 % bleibt bei einer Führungsposition aber die Regel. Da spielen flexible Arbeitsmöglichkeiten wie Job- oder Topsharing eine wichtige Rolle. Insbesondere Topsharing Link öffnet in neuem Fenster., das Konzept der geteilten Führung auf Kaderstufe, bei welchem sich zwei Personen nicht nur den Job teilen, sondern gemeinsam eine hohe Verantwortung tragen, die das Führen von Mitarbeitenden einschliesst, eröffnet Unternehmen die Chance, attraktive Führungspositionen in einem Teilzeitpensum zu schaffen.

«In den Bewerbungsgesprächen zeigt sich, dass insbesondere Personen zwischen 35 und 45 oft den Wunsch äussern, weniger als 100 % zu arbeiten», berichtet Stephanie Briner aus ihrer Erfahrung als Beraterin bei der Jörg Lienert AG. Dass die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein wichtiges Entscheidungskriterium bei der Wahl des Arbeitgebers ist, zeigen auch verschiedene Studien Link öffnet in neuem Fenster.. Will man dem Zukunftsinstitut Link öffnet in neuem Fenster. Glauben schenken, wird die Entwicklung zukünftig generell in Richtung eines geringeren Arbeitspensums, nämlich einer 30-Stunden-Woche, laufen.

Karin Ricklin-Etter und Stephanie Briner
Als Partnerin erster Stunde unterstützt die Jörg Lienert AG diesen Talk und WEshare1 – unter der Co-Leitung von Karin Ricklin-Etter und Stephanie Briner


In der Schweiz arbeiten viele Teilzeit

Für viele Arbeitnehmende in der Schweiz ist Teilzeitarbeit heute bereits Realität. Sechs von zehn Frauen und knapp zwei von zehn Männern gehen in der Schweiz gemäss Bundesamt für Statistik Link öffnet in neuem Fenster. einer Teilzeitbeschäftigung nach. Von den Erwachsenen mit Kindern unter 25 Jahren arbeiten sogar 78 % der Frauen und 12 % der Männer Teilzeit Link öffnet in neuem Fenster.. Damit erreicht die Schweiz im internationalen Vergleich in Sachen Teilzeitanstellung einen Spitzenplatz. Viele Personen arbeiten Teilzeit, um genügend zeitliche und mentale Freiräume für andere Lebensbereiche wie z. B. Familienarbeit, Weiterbildung, Freiwilligenarbeit, soziales oder politisches Engagement oder aufgrund der persönlichen Gesundheit zu bekommen.

Laut dem Gender Intelligence Report Link öffnet in neuem Fenster. von Advance und der HSG wirkt sich Teilzeitarbeit oder der Wunsch nach Teilzeitarbeit heutzutage nachteilig auf die Karriereentwicklung aus. Viele der ausgeschriebenen Geschäftsleitungs- und Führungspositionen sind Vollzeitstellen. Weiter lässt sich in diesem Bericht nachlesen, dass teilzeitarbeitende Personen oft nicht die gleichen Beförderungschancen wie ihre vollzeittätigen Kolleginnen und Kollegen erhalten. Rund die Hälfte aller Beförderungen finden im Alter zwischen 31 und 40 Jahren statt, also exakt in der Zeit, in welcher familienbedingt viele Arbeitnehmende das Pensum reduzieren möchten. Auch die KOF Analyse der ETH Link öffnet in neuem Fenster. kommt zum Schluss: Der Wunsch nach Teilzeitarbeit stellt im Rekrutierungsprozess ein deutliches Hindernis dar.

Ausgeglichene Familien-Erwerbsmodelle im Trend


Gemäss dem nationalen Barometer zur Gleichstellung Link öffnet in neuem Fenster. wünscht sich die Mehrheit der Eltern egalitäre Familienmodelle, bei welchen Männer und Frauen zu gleichen Teilen Erwerbsarbeit übernehmen. «Wo früher ein Familienerwerbspensum von 150 % klassisch auf ein 100 % beim Mann und 50 % bei der Frau aufgeteilt wurde, sind heute ausgeglichenere Modelle von 80 % und 70 % häufiger und ermöglichen beiden Personen, eine verantwortungsvolle Fach- oder Führungsrolle einzunehmen», bestätigt Stephanie Briner diese Entwicklung. «Es findet so eine Verschiebung innerhalb des Familienerwerbspensum statt: Je mehr Männer Teilzeit arbeiten können und ihr Pensum reduzieren, umso mehr Frauen können ihr Pensum um jene Stellenprozente erhöhen. Dass wir diese Aspekte mit den rekrutierenden Unternehmen immer und immer wieder thematisieren, ist zentral. Nur so können Stereotype und bestehende Rollenmuster geändert werden», erörtert sie weiter.

Die Rekrutierung im Topsharing

«Topsharing erachten wir als ein sehr vielversprechendes Arbeitsmodell, weil dabei eine Führungsfunktion auf zwei Personen in einem Teilzeitpensum aufgeteilt werden kann», äussert sich Stephanie Briner. Die Stellenbesetzung im Topsharing unterscheidet sich vom herkömmlichen Rekrutierungsprozess, bei welchem es in der Regel nicht zu Kontakten zwischen den Bewerbenden kommt. Bewerben sich mehrere Personen unabhängig voneinander auf ein Teilzeitpensum im Topsharing, so kann es vorkommen, dass zwischen den Bewerbenden ein Kontakt hergestellt wird. Dies braucht eine grosse Bereitschaft, offen über die eigenen Kompetenzen, Stärken, Schwächen, Erwartungen und die erwünschten Entwicklungsperspektiven zu sprechen. Um sich als Tandem für eine Position zu entscheiden, muss innert kurzer Zeit ein Grundvertrauen zur anderen Person aufgebaut und ein gleiches Werteverständnis geteilt werden. Auf der Basis dessen kann eine funktionierende Zusammenarbeit entstehen.

Positive Effekte

Gelingt dies, bringt ein Job- oder Topsharing zahlreiche positive Effekte hervor. Zwei Personen können die wichtigen Entscheide gemeinsam treffen und haben somit einen engen Sparringpartner bzw. eine enge Sparringpartnerin gleich mit dabei. Dies wirkt sich positiv auf die Qualität der Entscheide aus. Bedeutet aber auch, dass die Verantwortung nicht alleine getragen werden muss, denn viele Führungspersonen empfinden das Tragen von Einzelverantwortung teilweise auch als belastend.

Eine Win-Win-Situation für Unternehmen und Arbeitnehmende. Und aus Sicht der Rekrutierung steigt – wenn sich zwei Personen auf ein Profil bewerben – zudem die Chance, die hohen, breitgefächerten Anforderungen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu erfüllen.